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Die Zukunft im Blick – Augmented Reality im Handel

Ist Augmented Reality (AR) nur eine Spielerei, oder hat die Technologie tatsächlich das Potenzial den Handel zu revolutionieren und die Grenzen zwischen Online- und Stationärhandel endgültig verschwinden zu lassen?

Was bietet Augmented Reality (AR)?

Unter Augmented Reality versteht man die Erweiterung der wahrgenommen Realität. Das bezieht sich theoretisch auf alle Sinne, in der Regel jedoch auf das Sehen und Hören. Die tatsächlich wahrgenommene Realität des Nutzers wird mittels Bilder, Video und Ton angereichert oder überlagert und mit real wahrgenommenen Objekten in einen Zusammenhang gebracht.

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Wir kennen dies seit langem aus Science Fiction Filmen. Der Zuschauer sieht durch die Augen des Protagonisten und diesem werden z. B. über sein Helmvisier Zusatzinformationen zu Personen und Gegenständen in das Sichtfeld eingeblendet. Dabei ist dieses Szenario bereits Realität geworden. Die US-Armee setzt bereits solche Visiere ein.

Die Zusatzinformationen werden zum einen über sogenannte Wearables dargestellt. Das können elektronische Geräte, die man am Körper trägt wie z.B. Brillen mit eingebautem Zusatzdisplay, Kopfhörer oder Smartwatches sein. Zum anderen werden sie über externe Geräte wie Smartphones, Headup-Displays im Auto oder Anzeigetafeln angezeigt.

Augmented Reality vs. Virtual Reality

Die Augmented Reality ist nicht mit der Virtual Reality (VR) zu verwechseln. Bei der VR taucht der Anwender über die charakteristisch geschlossenen und meist schwarzen Brillen mit integrierten Monitoren in eine virtuelle Welt ein. Das sichtbare Bild ist vollständig computergeneriert und spiegelt nicht die tatsächliche Umgebung wieder. Bei der Augmented Reality hingegen wird die tatsächliche Umgebung lediglich um Informationen durch die Projektion erweitert.

Google „Glass“ – der erste Versuch 

Der Begriff Augmented Reality ist das erste mal 2012 durch die Ankündigung der Datenbrille „Glass“ in den Fokus der Medien gerückt. Die von Google entwickelte Datenbrille, welche dem Träger über ein verbautes Glasprisma Informationen in das Sichtfeld projiziert, sollte AR für den Massenmarkt ermöglichen. Der Marktstart floppte, da die Datenbrille die Erwartungen nicht erfüllen konnte.

Mann trägt Augmented-Reality-Brille

Neben den technischen Vorraussetzungen hat sich eine weitere Hürde aufgetan: Die Akzeptanz in der Gesellschaft. Google Glass hat bereits vor Markteinführung für viel Unmut in der Bevölkerung gesorgt. Grund dafür war die integrierte Kamera in der Brille und die damit verbundene Möglichkeit, alles und jeden jederzeit heimlich zu filmen. Das führte soweit, dass Restaurants, Cafés, Casinos und Kinos den Brillen „Hausverbot“ erteilt haben. In Russland war das Tragen dieser Brille gänzlich verboten, da man Spionage befürchtete. Stellungnahmen und technische Details zur Widerlegung einer heimlichen Bildaufnahme seitens Google konnten die Skepsis in der Bevölkerung nicht mindern. Neben der damals fehlenden Alltagstauglichkeit war dies ein Hauptgrund für das Scheitern der Datenbrille Google Glass im privaten Sektor. 

Eine weitere Herausforderung ist die Optik einer solchen Brille. Verbaute Elemente wie Akku, Kamera und Display lassen den Träger schnell wie einen Cyborg wirken. Mag das Aussehen in der Arbeitsumgebung und beim Militär zweitrangig sein, ist ein gelungener Spagat zwischen dezenter Optik und ausreichender Funktionalität im privaten Sektor entscheidend. Die fehlende Alltagstauglichkeit durch eine zu geringe Akkulaufzeit war ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt an der Google Glass. Seit 2017 wird die Datenbrille ausschließlich für Firmenkunden als „Enterprise Edition“ angeboten und ist bereits bei Volkswagen und DHL im Einsatz. 

Mittlerweile gibt es weitere Hersteller von Wearables für den professionellen Einsatz. Für den Privatanwender ist heute das Smartphone der Hauptzugang zu Augmented Reality. Der Benutzer hält das Smartphone in sein Blickfeld und über das Kamerabild auf dem Display werden ihm Zusatzinformationen aufgrund der Geokoordinaten oder anhand erkannten Objekte und Scancodes eingeblendet. Durch die umständliche Handhabe gibt es nur wenige sinnvolle Anwendungen. Für den professionellen Einsatz ist die Lösung über ein Smartphone in der Regel ungeeignet, da man durch das Halten des Smartphones nur eine Hand frei hat.

Einschlägige Internetplattformen sagen ein Release einer AR-Brille für den Privatanwender von Apple voraus. Da Apple in der Vergangenheit immer wieder der Wegbereiter für neue Technologien war, hat dieses Produkt das Potential neuen Schwung in die AR-Bewegung für den Privatanwender zu bringen. 

Augmented Reality: Praxisbeispiele aus dem Handel  

Bis realen Einkaufserlebnissen ist es zwar noch ein weiter Weg, aber es gibt auch heute Aufgaben im Handel, welche durch AR unterstützt werden. Bereits 2013 veröffentlichte die Möbelhauskette Ikea einen Katalog mit AR-Elementen. Der Kunde scannt mit Hilfe einer Smartphone-App den QR-Code eines Möbelstücks und bekommt dieses auf dem Display als 3D-Objekt angezeigt. Über das Kamerabild kann das Möbelstück in der Wohnung virtuell platziert werden, sodass der Kunde einen konkreten Eindruck davon bekommt, wie das Produkt in seiner Wohnung wirkt.

Möbel zu Hause angucken über Augmented Reality

Der Optiker Mr. Spex bietet dem Kunden in seinem Onlineshop die Möglichkeit, Brillen vor dem Kauf virtuell anzuprobieren. Dabei wird die Brille auf das Kamerabild der Webcam projiziert und vermittelt dem Benutzer den Eindruck, das er die Brille tatsächlich trägt. Auch Kopfbewegungen werden berücksichtigt, sodass der Kunde einen realistischen Eindruck davon bekommt, wie er mit der Brille aussehen wird. 

Penny und DHL setzen bereits heute Datenbrillen zur Unterstützung der Mitarbeiter bei der Kommissionierung ein. Und es gibt weitere Beispiele, in denen AR bereits heute im Handel eingesetzt wird. Den breiten Einzug hat diese Technologie allerdings noch nicht erfahren. Die Etablierung im professionellen Bereich steigt jedoch mit der Verbesserung der benötigten Hardware.

Anwendungsbereiche im Handel 

Wagen wir einen Blick in die Zukunft in welcher die Wearables mit AR-Unterstützung ausgereift sind und den Weg in unseren Alltag gefunden haben:

  • Beim Betreten einer Filiale wird über die Datenbrille ein virtueller Verkaufsberater hinzugeschaltet, welcher den Kunden durch den gesamten Kaufprozess hindurch begleitet. Er gibt Zusatzinformationen zu den Produkten, Kundenbewertungen, Produktbestände, den aktuellen Wert des Warenkorbes, aktuelle Angebote, Cross- und Upselling. Er hilft bei der Navigation durch die Filiale und erledigt den Bezahlvorgang. All die Vorteile, die wir bereits beim Onlineshopping genießen.
  • Interaktive Schaufenster bieten der Laufkundschaft die Möglichkeit, sich über die ausgestellten Produkte zu informieren und diese direkt und unabhängig von Ladenöffnungszeiten online zu kaufen.
  • Das Verkaufspersonal bekommt über die Datenbrille eine diskrete Unterstützung zur optimalen Kundenbedienung, ohne Unterbrechung durch die Bedienung von Kassen, Computer und Tablets. Produktstammdaten und Kundeninformationen aus dem CRM stehen genau so zur Verfügung, wie Informationen über die aktuelle Customer Journey des Kunden. Das Interesse an Produkten wird über ein Kamerasystem in der Filiale erkannt. Selbst die Stimmung des Kunden während des Aufenthaltes in der Filiale wird analysiert, sodass das Verkaufspersonal optimal darauf reagieren kann. Alleingelassene Kunden in der Filiale gehören der Vergangenheit an. 
  • Filial- und Lageraufgaben werden durch den Einsatz von AR vereinfacht. Alle benötigten Informationen über Produkte und Lagerplätze werden dem Personal direkt über die Datenbrille angezeigt. Automatisiert fliegende Drohnen unterstützen die Mitarbeiter im Lager bei der Suche und der Erfassung und senden angeforderte Informationen direkt auf die Datenbrille. Wareneingänge und Inventuren werden durch blosses drauf schauen erledigt.
  • Virtuelle Umkleidekabinen ermöglichen den gesamten Einkauf ohne das Wühlen in den Kleiderständern und das ständige an- und ausziehen.
  • Über einen intelligenten Spiegel wird die ausgewählte Kleidung auf den Körper im Spiegelbild projiziert. Dabei bietet der Spiegel alle Vorteile eines Onlineshops. Die Suche nach Produkten, einen Warenkorb, Kundenbewertungen, Cross und Upselling, Empfehlungen und Zugriff auf das Kundenkonto.
  • Die ausgewählten Produkte können zur Anprobe in die Kabine geordert werden. Zudem wird der Einsatz von Marketplace-Produkten im Stationärhandel so selbstverständlich wie er heute bereits im Onlinehandel ist.
  • Der Bezahlvorgang wird in der Kabine abgeschlossen und die Versandmöglichkeit lässt dem Kunden die Wahl, ob er die Ware direkt mitnehmen möchte, oder nach Hause liefern lässt. Durch die Personalisierung der Kabinen über das Kundenkonto können Einkäufe in der Filiale gestartet und zuhause im Onlineshop beendet werden. Genauso kann der Kunde zuhause eine Auswahl über den Onlineshop anlegen und auf diese in der Kabine zugreifen.

Diese Art von Kabine ermöglicht im Stationärhandel eine örtliche Trennung von Verkauf und Ware. Eine Verkaufsfläche zur Darbietung der Ware ist nicht notwendig und die Ware kann bis zur Abholung im Lager bleiben. 

Neue Ansätze im Handel durch Augmented Reality

Ein neuer Ansatz wird sein, nicht zu versuchen, den Kunden in der Filiale in Stimmung zu bringen, sondern den Kunden dort abzuholen, wo er bereits in Stimmung ist. In Diskotheken, in Gastronomiebetrieben, im Wartebereich des Bahnhofes, neben der Filiale des Mitbewerbers oder auch shoppen im Hotel. Shopping ist so nicht mehr an Ladenöffnungszeiten gebunden und kann in die „Partyzeit“ verlegt werden. Shopping kann Teil der Feierkultur werden und die Kunden in ausgelassener, kauflauniger Stimmung erreichen. Das Konzept der Fotoautomaten, die bereits heute genau an diesen Stellen positioniert werden.

Einkaufszentren werden zu Erlebniszentren in denen derartige Kabinen unabhängig von Verkaufsflächen in das Gesamtbild zusammen mit Gastronomie und Unterhaltung integriert werden und die Ware beim Verlassen am Ausgang fertig verpackt mitgenommen oder nach Hause geliefert wird. Dem Kunden wird das Einkaufen so einfach wie möglich gemacht. Es müssen keine Tüten durch die Läden und nach Hause geschleppt werden.

Dieser Umstand vereint Vorteile des Stationär und Onlinehandels. Die physikalische Präsenz einer Filiale und die Bequemlichkeit eines Onlineshops.

Wenn die Kleidung nicht anprobiert werden muss, bekommen Onlinehändler und sogar reine Online Marketplaces Plattformen ohne eigene Produkte die Möglichkeit, stationär zu verkaufen ohne die Ware vor Ort haben zu müssen. Die Filiale ist nur eine Erweiterung der Internetplattform und Ware wird über den bereits bestehenden Kanal versendet.

Eine weitere Aufgabe von AR wird die Übertragung der aus der Onlinewelt bekannten Suchfunktion auf die Filiale. Die Suchfunktion ermöglicht es dem Onlinekunden, das für ihn optimale Produkt aus dem gesamten Sortiment zu finden. In der Filiale ist es heute kaum möglich, das gesamte Produktangebot zu überblicken. Der Kunde findet so nicht immer das optimale Produkt. Daher wird dem Filialkunden zukünftig über AR die gleiche Suchfunktion wie dem Onlinekunden und gegebenenfalls die Navigation zum Produkt zur Verfügung gestellt.

Zusammenfassung

Also, Spielerei oder revolutionäre Technologie? Ein bisschen von beiden. Im Militärischen Bereich und als proprietäre Anwendung in der Produktion, im Lager und der Medizin wird AR bereits heute sinnvoll eingesetzt. Für den Endanwender ist es heute aufgrund fehlender bezahlbarer Hardware hauptsächlich Spielerei. Langsam entstehen aber auch dort sinnvolle Use Cases. AR wird früher oder später Einzug in unser Leben und unseren Alltag halten. Der Handel wird sich darauf einstellen müssen. Sowohl um die Vorteile für den operativen Alltag zu nutzen, als auch um die Erwartungen der Kunden zu befriedigen.  Im Allgemeinen wird AR dazu beitragen, dass der Kunde einfacher, schneller und günstiger das für ihn beste Produkt kaufen kann. 

Klar ist der Einsatz in der Filiale von der Zielgruppe abhängig. Im gehobenen Kundensegment wird die persönliche Betreuung immer im Vordergrund stehen. Aber auch hier kann der dezente Einsatz von AR zur Unterstützung des Verkaufspersonals sinnvoll sein. Ein für den Kunden unsichtbarer Zugriff auf CRM-Daten kann die Möglichkeiten einer persönlichen Ansprache verbessern und somit die Kundenzufriedenheit auch in diesem Sektor erhöhen. 

Die Bereitstellung der zusätzlichen Informationen, das Erstellen von 3D-Modellen und der technische Aufbau in den Filialen wird dabei neue Geschäftsfelder entstehen lassen. Es wird neue Partnerschaften im Handel geben müssen, will man eine gute Usability und somit die Akzeptanz des Endkunden erreichen. Virtuelle Kabinen dienen dem Endkunden am Besten, wenn er Produkte mehrerer Anbieter zur Auswahl hat. Virtuelle Verkaufsassistenten finden nur dann breiten Einzug beim Endkunden, wenn eine Anwendung in möglichst vielen Filialen funktioniert. Proprietäre Apps einzelner Filialisten haben es bereits heute schwer. Dazu braucht es die Bereitschaft für offene Schnittstellen und Kooperation.Die technischen Herausforderungen werden in absehbarer Zukunft bewältigt. Ob und wann die Akzeptanz und Bereitschaft des Handels und die des Endkunden ebenfalls erreicht wird, wird sich zeigen. 

Wann der Durchbruch beim privaten Endanwender erfolgt, hängt neben der Bewältigung der technischen Herausforderungen vor allem von der Akzeptanz in der Bevölkerung ab. Vielleicht werden nachwachsende Generationen von „Digital Natives“ immer weniger Berührungsängste mit derlei Technologie haben. Aktuelle Trends zur Selbstdarstellung in Sozialen Netzwerken und Livestreaming-Diensten lassen eine höhere Gelassenheit bezüglich Privatsphäre und dem Recht am eigenen Bild vermuten.  

Denn ein breitflächiger Durchbruch wird nur durch den Einsatz von Wearables erfolgen. Die heutigen Lösungen über das Smartphone sind nicht nur umständlich, sie erfordern auch eine Aktion des Benutzers. Er muss wissen wann er AR einsetzen kann, mit welcher App das geht und dann sein Smartphone in die Hand nehmen und es während des Einkaufs in sein Sichtfeld halten. Diese Lösungen wird die Masse der Kunden nicht überzeugen.

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